Cover des gedruckten Buches Schuttzug am ehemaligen Badischen Staatstheater (Schlossplatz) in Richtung Botanischer Garten, Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 5 Bd.7, S. 832
   

1. Vorbemerkungen

 

Gestützt auf die Erfahrung mit einer 1989 durchgeführten Zeitzeugenbefragung zum Thema „Kriegsausbruch 1939“ befaßte sich der Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte Karlsruhe im Herbst 1994 mit der Erstellung eines Fragebogens, der als Grundlage einer Zeitzeugenbefragung zum Thema Kriegsende 1945 dienen sollte. Der Fragebogen ist der Auswertung vorangestellt und zusätzlich als Karte beigefügt. Im Gegensatz zu einer Zeitzeugenbefragung von 1989 fand die Aktivität des Arbeitskreises 1994/95 eine ziemliche Konkurrenz durch eine Vielzahl ähnlicher Vorhaben auf lokaler, regionaler, landes- und bundesweiter Ebene. Erwähnt seien hierzu lediglich der Wettbewerb der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: „50 Jahre danach: Was hat das Kriegsende bedeutet?“ oder das Symposium vom 5. April 1995 Kriegsende in badischen Städten im Neuen Ständehaus in Karlsruhe, an dem auch einige Mitarbeiter des Arbeitskreises teilnahmen. Auch die Medien nahmen sich des Themas ausführlich an. Mit all dem konnten und wollten wir nicht in Konkurrenz treten.

Unser Ziel war ein zumindest dreifaches: Zum einen ging es darum, dem besonderen Interesse des Arbeitskreises Karlsruhe folgend, das Ereignis „Kriegsende“ lokal- bzw. regionalgeschichtlich festzumachen. Aus diesem Grund wurde hierzu, in bewährter Weise, der Kontakt zum Stadtarchiv Karlsruhe hergestellt. Der Karlsruher Stadthistorikerin Frau Dr. Susanne Asche danken wir dafür, daß sie ihre Erfahrungen und Anliegen bei der Erstellung des Fragebogens eingebracht hat, ihrem Kollegen Herrn Dr. Manfred Koch für die zur Verfügung gestellten Bilddokumente und die Hilfe bei der Bearbeitung des Kapitels zur „Karlsruher Chronik 1930–1945“. Die objektive Darstellung der Karlsruher Geschichte soll als didaktische Handreichung die subjektiven Schilderungen, Eindrücke und Erlebnisse der Zeitzeugen ergänzen. Zum anderen wollten wir, wie schon bei der Zeitzeugenbefragung von 1989, das Gespräch zwischen der älteren Generation und den Schülern der Jahre 1994/95 in Gang bringen. Schließlich bot das Projekt die Chance, dem alltäglichen Geschichtsunterricht einen besonderen Impuls zu geben.

„Fünfzig Jahre danach“ – dies sollte also Anlaß genug sein, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen von Schülern befragen zu lassen, Anlaß, einmal zuzuhören und sich die persönlichen Erfahrungen der älteren Generation berichten zu lassen. Die Lebensstation 1945 wird dabei meist als ein individuell, nur in Ausnahmen als kollektiv wichtiges Ereignis verstanden, das einen Einschnitt in der Biographie darstellt und den Übergang von einem Lebensabschnitt in einen anderen markiert. Ausschlaggebend bei fast allen Befragten sind die unmittelbaren Eindrücke und Erfahrungen in den Tagen des Rückzugs der Wehrmacht und des Vormarsches der Alliierten. In einem vielstimmigen Erinnerungschor werden jene Schicksalstage noch einmal lebendig: Bomben, Flucht, zerrissene Familien, das Erlebnis der vorbeiziehenden Front, Hunger, Eskalation des NS-Terrors, Gewalt und Vergewaltigung durch die Sieger, „Stunde Null“, erste Schritte in Richtung Neubeginn. Im Wechselbad der Gefühle, Ängste und Hoffnungen wird aber ebenso deutlich, daß trotz Chaos und Zerstörung die Grundmuster des Lebensalltages weiterbestanden.

Eine gewisse, nachträgliche, Bestätigung fand unser Vorhaben durch die aktuelle Fachdidaktik: Im Heft 43 von Geschichte lernen veröffentlichte H. Oelze (vgl. Literaturverzeichnis) einen Fragekatalog, der mit dem unseren weitgehend identisch ist; außerdem werden hier als Ziele einer derartigen Zeitzeugenbefragung die von uns letztlich erstrebten genannt: Das Anstoßen des Gesprächs „zwischen den Generationen“, die Verlebendigung des Geschichtsunterrichts, die Ermöglichung des entdeckenden Lernens, das Einbeziehen der Ortsgeschichte, das Erkennen, „wie unterschiedlich ein historisches Ereignis in der Wahrnehmung und aus der Perspektive Betroffener erscheint“. Thomas Jauer (vgl. Literaturverzeichnis) äußert sich ähnlich, wenn er die Einbeziehung von Zeitzeugen in den Unterricht als Möglichkeit der Öffnung der Schule zur Lebenswelt bezeichnet oder die Zeitzeugenbefragung als Methode des forschenden Lernens begreift.

Die Fülle der Veranstaltungen sowie die zahlreichen Produktionen der Medien wirkten wahrscheinlich hier und da kontraproduktiv zum Anliegen unseres Arbeitskreises; es gibt entsprechende Aussagen von potentiellen Ansprechpartnern, die entweder meinten, es sei doch schon längst alles gesagt oder gar die Ansicht äußerten, man solle die alten Geschichten endlich ruhen lassen, für die sich doch keiner mehr interessiere. Andererseits öffnete unser Fragebogen in manchen Fällen geradezu Schleusen: endlich kommt einer und gibt uns die Gelegenheit, das zu sagen, was wir schon immer einmal sagen wollten. Zum Teil sind dies freilich wiederum Menschen, die sich in ihrer Wahrnehmung des Kriegsendes und all dessen, was damit zusammenhing, von der, ihrer Ansicht nach, herrschenden Meinung nicht bestätigt fühlen. Von dieser Seite werden Vorwürfe gegen „25–65-jährige Historiker“ (Zitat eines der befragten Zeitzeugen) erhoben, denen mangelnde Objektivität unterstellt wird: „Diese Leute müßten auch mal erforschen, was umgekehrt durch die seinerzeitigen Feinde verbrochen wurde“.

Damit sind wir bei der eigentlichen Problematik unseres Vorhabens angelangt. Die Zeitzeugenbefragung ist ein sozusagen klassisches Vorgehen der Oral History, die unter Historikern nicht unumstritten ist. Der Vorwurf, daß die Befragung von Zeitzeugen nicht dazu taugt, Vergangenheit möglichst objektiv zu rekonstruieren, daß vielmehr die Zeitzeugen, bewußt oder unbewußt, den von ihnen beschriebenen Ausschnitt aus der Geschichte so darstellen, wie sie wollen, daß er dargestellt werde, ist nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Hinzu kommt, daß durch die Fragestellung selbst die Ergebnisse beeinflußt werden, die Entstehung historischer Quellen sich also unter Manipulation durch die Fragestellung oder den Fragesteller vollzieht. Wenn also die Schule sich mit der Oral History einläßt, deren didaktischer Nutzen, wie oben angerissen, auf der Hand liegt, darf der Schüler vom Lehrer nicht alleingelassen werden. Eine Zeitzeugenbefragung quellenkritisch auszuwerten, muß den Schüler überfordern. Dies gilt aber letztlich auch für viele Quellentexte, Auszüge aus Autobiographien etwa, in den Schulgeschichtsbüchern und ist damit nicht von vornherein ein spezifisches Problem des Umgangs mit der Oral History. Hier ist auch darauf hinzuweisen, daß die „Befragung von Zeitzeugen“ in den Bildungsplänen von Hauptschule, Realschule und Gymnasium ausdrücklich verankert ist (vgl. hierzu den Abschnitt „Lehrplanbezüge“). Um möglichst „ungeschönte“ Aussagen zu erhalten, hatten wir uns dazu entschlossen, die Befragung sozusagen unter dem Mantel der Anonymität durchführen zu lassen. Personenbezogen sind lediglich die Fragen nach dem Alter und dem Geschlecht des Zeitzeugen. Manche der Befragten fügten dennoch ihren Namen hinzu oder machten Angaben zu ihrem beruflichen Werdegang oder auch zum sozialen Umfeld, dem sie 1945 zugehörten. Der Verzicht auf weitergehende personenbezogene Angaben hat natürlich seinen Preis: Es fehlen damit u.U. Grundlagen zur Beurteilung und Einordnung der Aussagen. Hinzu kommt, daß der Grad an Reflexion, der hinter den Aussagen steht, ein sehr unterschiedliches Niveau aufweist.

Der Lehrer ist also gefragt. Der Arbeitskreis hat bewußt bei der Ausschreibung der Befragung ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es mit einem bloßen Austeilen der Fragebögen und ihrem kommentarlosen Einsammeln nicht getan ist. Wie die Rückmeldungen zeigen, ist das Anliegen zumindest von einem Teil der Lehrer, die durch ihren Einsatz der Aktion zur Durchführung verhalfen, auch so verstanden worden. Dies bedeutet, daß die Ergebnisse der Zeitzeugenbefragung in den Unterrichtsgang mit einbezogen wurden, wo das Thema Kriegsende ohnedem gemäß Lehrplan zu behandeln war, oder daß außerhalb des regelmäßigen Unterrichts das entstandene Material bei dem Gedenken an das Kriegsende mit einbezogen wurde. In einem anderen Fall benutzten die Teilnehmer der Geschichts-AG an einem Karlsruher Gymnasium den Fragebogen als Grundlage für eigene, weiterführende Aktivitäten auf dem Gebiet der Zeitzeugenbefragung. Aus diesen Rückmeldungen konnte also das Fazit gezogen werden, daß die Anregung des Arbeitskreises Landeskunde/Landesgeschichte Karlsruhe eine positive Aufnahme zumindest an einem Teil der Karlsruher Schulen gefunden, sich der Zeitaufwand demnach gelohnt hat, der mit der Vorbereitung der Befragung von den Aktiven des Arbeitskreises erbracht worden war.

Noch größer war freilich der Zeitaufwand zur Aufbereitung der zurückgelaufenen Fragebögen, die arbeitsteilig am häuslichen Schreibtisch vorgenommen wurde, wobei eine Sitzung des Arbeitskreises der Sichtung und kritischen Besprechung der Zwischenergebnisse gewidmet war. Ziel der Aufbereitung war die Erstellung der vorliegenden Dokumentation, welche die an den einzelnen Schulen gewonnenen Ergebnisse auf eine breitere Basis stellt und künftig als Handreichung für die Behandlung des Themas „Kriegsende 1945“ im Unterricht dienen oder auch dazu anregen kann, Ähnliches selbst zu probieren. Denkbar wäre eine Nutzung der Handreichung als Grundlage zur Erstellung von Lese- oder Hörspielen, in denen in verteilten Rollen die Aussagen der Zeitzeugen nachempfunden und kritisch anhand der Chronik überprüft werden. Die Bewahrung des Andenkens und Wissens und die Weitergabe an die Schüler, die als informierte Menschen eine freie und demokratische Ordnung als Ziel begreifen, und damit immun sind gegen Tendenzen, die die NS-Zeit zu relativieren oder gar zu glorifizieren angetreten sind, können als ein übergeordnetes Motiv für die Veröffentlichung dieser Dokumentation begriffen werden. An Publikationen über das Kriegsende mangelt es nicht. Was bisher fehlte, war eine Sammlung von Stimmen jener Menschen, die das Kriegsende in der Region Karlsruhe erleben und erleiden mußten. In diesem Sinne wünscht der Arbeitskreis seiner Dokumentation einen entsprechenden Nachhall.

 
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Kriegsende 1945 | Zeitzeugen der Karlsruher Region erzählen | Letzte Änderung: 30. März 1997
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