Cover des gedruckten Buches Von Luftangriff zerstörter Zug mit Häftlingen, 9. August 1944, Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 5 Bd.7, S. 743
   

3. Auswertung und Dokumentation

3.1

Männliche Zeitzeugen, die das Kriegsende in Südwestdeutschland –
Schwerpunkt Karlsruhe und Umgebung – erlebten

3.1.2

Ergänzende Textauszüge

 

Frage 4

(aus Herzogenweiler im Schwarzwald/Evakuierungsort der Mutter; Heimat der Familie: Karlsruhe)
„Als Schüler eines speziellen Internats war ich zuletzt in Salem am Bodensee stationiert, wo die Schule Mitte April geschlossen wurde und dann sich jeder auf den Heimweg machte. [...] Unsere Familie: Vater, Mutter, 2 Söhne, waren[!] vollkommen getrennt. Vater im östlichen Frontabschnitt, Mutter in Herzogenweiler bei Freudenstadt, Bruder im südlichen Frontabschnitt und der Schreiber dieser Zeilen eben auf dem Weg aus Richtung Bodensee in Richtung Freudenstadt.“

Frage 5

(aus Karlsruhe-Neureut)
„Ca. 2 Stunden vor Einmarsch der Franzosen lag Neureut noch einmal unter schwerem Beschuß: Ich hatte damals noch großes Glück. Ca. 8 Meter von mir schlug eine Granate in ein Haus, es gab damals noch viele Verletzte. Wir mußten als Kinder überall mithelfen, die Männer waren ja alle an der Front. Als letzte gingen die Sanitäter der Wehrmacht aus Neureut.“

(aus Rheinstetten-Forchheim)
„Die französischen Truppen waren bereits zu sehen, als von der Behörde aus – durch den ,Büttel‘ = Gemeindediener – der Befehl erging, daß sich auch alte und kranke Männer am Wehreinsatz zu beteiligen haben. Aus diesen Zivilisten wurde nicht zuletzt der Volkssturm gebildet. Nach Einmarsch der Alliierten wollte niemand mehr bei der Partei sein. Es wird erzählt, der Bürgermeister sei auf dem Fahrrad nach Herrenalb geflüchtet. Er wurde jedoch später von amerikanischen Soldaten in Kriegsgefangenschaft genommen.“

(aus Ottersdorf bei Rastatt)
„Vor dem Einmarsch der französischen Armee zogen nächtelang deutsche Soldaten, die sich aus Frankreich zurückzogen, durch den Ort. Es wurden alle Bunker am Rhein aufgegeben. Am Tage wurde alles, was sich bewegte, auf den Straßen oder auf dem Felde, von feindlichen Jagdbombern beschossen. Von deutschen Behörden hat man nichts mehr gehört“.

(aus Kollnau im Schwarzwald/dort bei Verwandten)
„In Kollnau wollten Angehörige der Partei oder Wehrmacht am Tage vor dem Einmarsch noch die Brücke über den Fluß Elz sprengen, um den Vormarsch der Alliierten aufzuhalten. Mutige Männer aus dem Dorf konnten dies in letzter Minute verhindern. Die Zerstörung der Brücke wäre umsonst gewesen, da der Vorstoß des französischen Militärs von anderer Seite erfolgte.“

(aus Biberach/Riß)
„Vor dem Einmarsch der Alliierten, konkret: französischer Truppen, herrschte in der Stadt große Hektik. Es wurden vielfach Vorratslager geräumt und von dort Lebensmittel an die Bevölkerung verteilt, geräumt wurden auch Lager und Unterkunft des sog. Reichsarbeitsdienstes. Ich war tagelang unterwegs mit dem Fahrrad, um für die Familie auch Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände zu ergattern. Die Verbände der deutschen Wehrmacht, die auf ihrem Rückzug durch die Stadt marschierten oder fuhren, befanden sich in einem ziemlich desolaten Zustand. Dem Rückzug haben sich auch Volkssturmleute angeschlossen, u.a. Schul- und Klassenkameraden von mir, die in die imaginäre Alpenfestung einrücken wollten. Einen Klassenkameraden, den ich dabei angetroffen habe, habe ich für verrückt erklärt. Von den deutschen Zivilbehörden war kaum etwas zu bemerken. Parteibonzen haben vielfach in erheblich alkoholisiertem Zustand Durchhalteparolen von sich gegeben, sind großspurig aufgetreten, wurden aber von der Bevölkerung mehr oder weniger ignoriert. Sie waren verschwunden, bevor die Franzosen einrückten. [...] Die Bevölkerung und auch meine Familie erwarteten das lokale Kriegsende in Luftschutzräumen. Als Ruhe eingekehrt war, bin ich mit einem Fahrrad zum Rathaus gefahren, um ausfindig zu machen, ob die Zivilbevölkerung wieder in ihre Häuser zurückkehren könne. Dort habe ich nur bereits entwaffnete deutsche Polizei angetroffen und erfahren, daß wegen Sperrstunde die Rückkehr bis 18.00 Uhr erfolgt sein müsse. Erwachsene Männer waren nicht bereit, diese Erkundung auszuführen!“ [Der Zeitzeuge war 1945 13 Jahre alt].

Frage 6

(aus Karlsruhe)
„Die Besatzungstruppen ließen zunächst keine Hoffnung auf baldige Normalisierung aufkommen.“

(aus Karlsruhe-Neureut)
„Für uns Kinder war es eine Enttäuschung, daß wir den Krieg verloren hatten, denn in der Schule und in der Hitlerjugend wurden wir anders erzogen, denn unsere Jahrgänge wurden ja mit den Soldaten und dem Aufbau des Westwalls groß.“

(aus Ottersdorf)
„Im Dezember 1944 wurde mir zum erstenmal richtig bewußt, daß Deutschland endgültig den Krieg verloren hat.“

Frage 7

(aus Karlsruhe)
„Die ersten Besatzungstruppen waren französische Armeeangehörige. Deren eigene Versorgung war wohl schlecht, denn Hühner und Hasen der Bevölkerung wurden bei Durchsuchungen aufgespürt und mußten auch noch gebraten werden. Auch eine ungeschriebene Freiheit, Übergriffe auf persönliches Gut u.v.a.m. Erschießung von Personen, die auf der Straße oder am Wohnungsfenster sich sehen ließen.“

(aus Kollnau im Schwarzwald/dort bei Verwandten)
„Wir schauten den vorbeifahrenden französischen Panzern und Fahrzeugen zu, die in das Dorf einrückten, und winkten mit weißen Fähnchen. – In Erinnerung sind mir noch algerische oder marokkanische Soldaten, welche bei uns einquartiert waren und in der Bauernstube ihre wohl 5 Meter langen Turbantücher neu wickelten und aufsetzten. Zu uns Kindern waren sie freundlich.“

 

Abbildung 2

Einmarsch der französischen Truppen in das zerstörte Karlsruhe. Das Foto zeigt allerdings eine Szene, die für die französische Wochenschau wenige Tage nach der tatsächlichen Einnahme der Stadt nachgestellt wurde. Dafür wurden zum Teil bislang noch halbwegs unzerstörte Gebäude in Brand gesetzt. Die französische Wochenschau zeigte die Filmsequenz unter dem Titel: „Im Herzen der brennenden Stadt“.


(aus Ottersdorf)
„Beim Einmarsch der französischen Truppen wurde ich sofort gefangen und mit etwa 20 anderen Männern auf einen Platz getrieben. Dort erfuhren wir, daß jeder 2. Mann erschossen wird, wenn sich nicht ein Heckenschütze ergeben sollte. – Der Heckenschütze hat sich dann nach Stunden selbst erschossen.“

(aus Biberach/Riß)
„Die erste Begegnung mit Angehörigen der Besatzungsmacht fand am Tage des Einmarsches statt. Es kamen einige französische Soldaten in unsere Wohnung, welche eine Pistole meines Vaters und auch dessen Photoapparat requirierten und darüberhinaus einen Teil der Lebensmittel, die ich Tage zuvor organisiert hatte, ,konfiszierten‘. Mein Vater hatte im Bücherregal einen Band ,Führertum‘, auf den sich die Franzosen gleich stürzten, dann aber einerseits enttäuscht, andererseits befriedigt waren, daß in diesem Band Caesar, Turenne, Friedrich der Große und dergl. Personen dargestellt waren. Probleme mit der Besatzungsmacht gab es für uns kaum, denn mein Vater war weder Mitglied der NSDAP noch einer Unterorganisation und als Antinazi bekannt. Er bekam weit und breit als erster und einziger wiederum die Zulassung als Rechtsanwalt. [...]

Mit Betroffenheit und Wut konnte ich wie viele Mitbürger beobachten, wie Franzosen und sog. Fremdarbeiter Geschäfte, insb. Schuhgeschäfte, ausräumten, wobei allerbeste Schuhe in großen Mengen zum Vorschein kamen, die in der Kriegszeit den Menschen, auch wenn sie sog. Bezugsscheine hatten, vorenthalten worden waren.“

(aus Herzogenweiler/Schwarzwald bzw. später aus Heimatstadt Karlsruhe)
„Hier muß man deutlich unterscheiden, ob man in unserem süddeutschen Bereich mit Angehörigen der US-Armee oder der französischen Truppen in Berührung kam. Die Angehörigen der US-Armee verhielten sich im allgemeinen gegenüber jungen Leuten recht freundlich – da ich bezüglich der Amerikaner schon ein wenig englisch sprechen konnte (fast 3 Jahre Schulzeit mit Englisch) gelang es mir, mit diesen meistens ,gute‘ Geschäfte bezüglich Verpflegung zu machen. Sie wollten im allgemeinen ja nur eines wissen: ,Wo sie ein Mädchen finden könnten?‘

Weitaus vorsichtiger mußte man mit den französischen Truppen sein, in denen sich – vielleicht auch berechtigt – mehr Haß gegen die Deutschen gesammelt hatte. Als ich in der 1. Maiwoche zu Hause [d.h. im Evakuierungsort der Mutter] angekommen war, [...] mußte ich einmal erleben, wie ich aus einem kleinen Bauernhaus gewiesen wurde, in diesem befand sich ein kleines Kind, ein Mädchen mit ca. 16 Jahren und eine Frau. Was dann geschah? – der Rest ist Schweigen!“

(aus Mannheim)
„Eine Begegnung wurde zu einer guten Freundschaft. Der Soldat wurde ,Little‘ genannt, war Schwarzer, gute zwei Meter groß und aus der 7. Armee. Er brachte öfters Kartons mit Soldatenverpflegung, Schokolade für die Kinder, Bananen und andere Sachen, die es sonst nicht gab.“

Frage 8

(aus Karlsruhe)
„Vorbereitung? Bei ständiger Bedrohung durch Luftangriffe u.a.m.! Die Angst um das eigene Leben und das Leben der Kinder herrschte vor. Der Luftschutzkeller als Zufluchtstätte für alle Be- und Anwohner konnte nur persönliche Papiere, Wäsche und Utensilien für Kinder und eventuell noch vorhandene Lebensmittel zulassen. Hitlerbilder gab es nicht in jeder Familie.“

(aus Karlsruhe)
„Ich fand später im Wohnzimmerschrank nur noch Ariernachweise. Mein Großvater verabschiedete in seiner Aufregung die nächtlich aufkreuzenden Amerikaner mit dem Hitlergruß, worauf die Soldaten aber zum Glück nicht reagierten.“

(aus Malsch)
„Mein Vater wurde im Februar 1945 von einem Fahnenflüchtigen ermordet. Für meine Mutter war das furchtbar. Sie hatte 7 Kinder, das jüngste 1 Jahr alt. Ich war der Älteste [16 Jahre]. So mußte ich für meine Mutter und meine Geschwister sorgen. In Sicherheit konnten wir nichts bringen, da wir total ausgebombt wurden. Es war eine schreckliche Zeit.“

(aus Ottersdorf)
„Der Einmarsch kam ganz plötzlich. Die Soldaten durchsuchten alle Häuser des Ortes nach deutschen Soldaten. Dabei nahmen sie alles mit, was sie vielleicht brauchen konnten. Hauptsächlich Uhren und Schmuck. Auch alles, was nach Alkohol roch. Ein Hitlerbild hatten wir nie. Im Haus meiner Großeltern war man nie gut auf Hitler zu sprechen.“

(aus Herzogenweiler/Schwarzwald; Evakuierungsort der Mutter; Familienwohnsitz: Karlsruhe)
„Obwohl mein Vater auch Parteimitglied war, besaßen wir kein Hitlerbild. Als relativ kleiner Junge war ich beim Schanzen eingesetzt und wurde dort von ,Jabos‘ (Jagdbomber) verletzt; hatte deshalb Verwundungsabzeichen, Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse und den Schanzerorden erhalten. Dies vernichtete meine Mutter alles, ebenso Bilder, die meinen Bruder und mich in Hitlerjugend- oder Pimpfuniform zeigten. Bedauerlich, daß man heute nicht mehr über diese ,Schätze‘ verfügen kann.“

 

Abbildung 3

Anordnung der französischen Militärregierung von Ende Mai, Anfang Juni 1945, mit der die Bevölkerung aufgefordert wurde, nationalsozialistische Literatur abzuliefern. Die französische Militärregierung übte ihre Administration bis zum 7. Juli 1945 aus, danach übernahm die amerikanische Besatzungsmacht die Gewalt in Karlsruhe.


(aus Biberach/Riß)
„Ein Hitlerbild existierte in unserer Wohnung nicht, auch sonst nichts dergleichen. Meine Mutter hat lediglich von meiner Hitler-Jugend-Uniform die Abzeichen abgetrennt, die samt Braunhemd verbrannt wurden. Diese dunkelblaue Uniform im übrigen habe ich dann noch länger als Winterkleidung getragen, denn es gab ja sonst nichts.“

Frage 9

(aus Karlsruhe)
„Kriegsende hieß für uns wieder gutes Essen, anständiges Wohnen. Konnten wieder furchtlos zur Schule. Auch hatten wir wieder vernünftig Arbeit. Wir Kinder brauchten keine Angst mehr zu haben, daß wir bestraft werden, wenn wir nicht mit dem Gruß ,Heil Hitler‘ grüßten.“

(aus Karlsruhe)
„Die Zeit wurde schöner. Bei der Lehre kam es zu einer erfreulichen Begegnung mit den amerikanischen Soldaten. Es gab genügend Zigaretten und Essen.“

(aus Karlsruhe-Neureut)
„Ab Kriegsende begann das Hungern und Tauschen gegen Lebensmittel. Mein Vater und mein Bruder waren in Gefangenschaft. Schule gab es nicht, dafür mußten wir Kinder über Wochen Schutzgräben, Schutzlöcher an Straßen der Wehrmacht zudecken, auch Ruinen mußten freigemacht werden.“

(aus Karlsruhe)
„Zunächst mußte man versuchen, mit Pappe oder Ähnlichem die zertrümmerten Fenster, soweit vorhanden, abzudichten; von den Besatzern zertrümmerte Wohnungstüren zu reparieren, z.B. Möbel, Betten u.a.m. vor Witterungseinflüssen zu schützen, wenn das Hausdach oder Wände total zerschossen waren. Arbeit in Betrieben kam sehr langsam in Gang, da von Rüstung auf andere Gebrauchsgüter umgestellt werden mußte. Kein Material war vorhanden. Die Besatzer räumten die Betriebe z.T. aus, d.h. requirierten alle wertvollen Maschinen.“

(aus Karlsruhe)
„Ich beziehe mich jetzt wieder auf Karlsruhe. Wohnen in zerbombten und selbst hergerichteten Wohnungen. Schule gab es keine. Mein Bruder und mein Vater fanden nach der Rückkehr Arbeit, denn die Trümmerfelder waren groß und das Essen war eben reichlich sparsam, und man war mit jeder Art von Nahrung zufrieden. Selbst als die Schule im April 1946 begann – und auch noch einige Zeit später –, kann ich mich erinnern, daß das 10-Uhr-Brot durch eine gekochte Pellkartoffel, die einschließlich Schale gegessen wurde, das Frühstück darstellte [!].“

 

Abbildung 4

Mühlburg, Rheinstraße 14; am linken Bildrand die Ruinen der Gaststätte „Drei Linden“. In ihrem zweigeschossigen Luftschutzkeller befanden sich während des größten Sprengbombenangriffs auf Karlsruhe am 4. Dezember 1944 200 Menschen, von denen etwa 100 ihr Leben infolge eines Volltreffers verloren.


(aus Ottersdorf)
„Nach dem Krieg wurde die Mittelschule, die ich fünf Jahre besuchte, geschlossen. Ich hatte keine Möglichkeit, eine andere Schule zu besuchen. Zuerst hatte ich mehrere Gelegenheitsarbeiten ausgeführt. 1946 kam ich dann zur Post. Der verlorene Krieg hat mein Leben und meine Berufspläne total verändert.“

(aus Biberach/Riß)
„Für meine Familie und mich wurde es deutlich besser, denn mein Vater [Rechtsanwalt/‘Antinazi‘] war ein vielgefragter Mann. Aus der ,Oberschule für Jungen‘, die ich besuchte, wurde wieder ein Gymnasium, benannt nach Christoph Martin Wieland, anstelle von vordem Horst Wessel.“

Frage 10

„Träume gleich nein; wenn die damaligen Jungens des gleichen Alters zusammensitzen, gibt es – aber dies nicht häufig – mal wieder eine Diskussion, und die Erinnerungen lösen keine Wehmut, sondern Grinsen und Kopfschütteln aus – letztlich hat der damals erzogene junge Stamm des deutschen Volkes ja später ein Wirtschaftswunder vollbracht!“

„Ich wünsche mir, daß unsere Kinder und Enkel so etwas nie erleben müssen.“

„Wenn auf der Welt Kriege stattfinden, und im Fernsehen gezeigt werden, werden immer Erinnerungen wach an die Luftangriffe von damals.“

„Diese Zeit kann man, solange man lebt, nicht vergessen.“

 
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Kriegsende 1945 | Zeitzeugen der Karlsruher Region erzählen | Letzte Änderung: 30. März 1997
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