Cover des gedruckten Buches Sperren am Mühlburger Tor, Winter 1944/45, Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 5 Bd.7, S. 696
   

3. Auswertung und Dokumentation

3.2

Weibliche Zeitzeugen, die das Kriegsende in Südwestdeutschland –
Schwerpunkt Karlsruhe und Umgebung – erlebten

3.2.1

Auswertung

 

Fragen 1–4

48 Zeitzeuginnen, die jüngste war bei Kriegsende 5 Jahre, die älteste 46 Jahre, die Mehrzahl beim Kriegsende zwischen 20–30 Jahren alt. Die meisten erlebten das Kriegsende im Heimatort, die Karlsruherinnen indessen waren vielfach aus Karlsruhe in die Orte der näheren oder weiteren Umgebung geflüchtet bzw. evakuiert, wenige waren auf der Flucht, eine der Zeitzeuginnen befand sich beim Landdiensteinsatz.

Insgesamt fällt auf, daß die berichtenden Frauen eine andere Wahrnehmungs- und Erzählperspektive einnehmen als die Männer. An der Heimatfront mußten sie jahrelang, wie es hieß, „ihren Mann stehen“, und in den ersten Stunden und Tagen nach dem Ende des NS-Regimes waren sie vielfach Opfer, auf Gnade und Ungnade den Siegern ausgeliefert. Gerade von hier aus sind die ambivalenten Gefühle zu verstehen, die aus den Angaben der Zeitzeuginnen sprechen: einerseits befreit zu sein von der Last des Krieges, zugleich aber nicht befreit zu sein von Sorgen und Ängsten der Gegenwart, von der Sorge um die Zukunft, um vermißte und verschollene Angehörige und Freunde. Niederlage und Kapitulation, Befreiung von der NS-Herrschaft, Untergang und Neuanfang: all das mischt sich in den Zeugnissen.

Frage 5

Die meisten Zeitzeuginnen erinnern sich an flüchtende Soldaten der Wehrmacht, die teilweise darauf aus waren, ihre Uniform durch Zivilkleidung zu ersetzen. „Durch den Ort kamen viele deutsche Soldaten, die sich in den Wäldern vor den Alliierten versteckten. Diese Soldaten bettelten bei den Ortsbewohnern um Zivilkleidung“. Oder: „Deutscher Soldat kam, hatte Angst; Zeitzeugin gab ihm Umhang und Mantel“ (Neupotz). In Erinnerung blieben auch die Bomben- und Tieffliegerangriffe vor dem Einmarsch der Franzosen. „Aus Angst vor Fliegerangriffen waren alle Hausbewohner schon vor Einmarsch der Alliierten nächtelang im Keller“(Karlsruhe). „Totschuß eines an einen Baum lehnenden deutschen Soldaten“ [!] durch Tiefflieger (Weingarten). „Wir mußten in den Luftschutzkeller, wer keinen Luftschutzkeller besaß, ging in die Kirche“(Oberöwisheim). Eine damals als Schreibkraft bei der Kreisleitung der NSDAP in Heidelberg tätige Zeitzeugin erinnert sich daran, daß die Personalakten der NSDAP-Funktionäre nach Neckargemünd verbracht wurden, während die Akten über die einfachen Mitglieder im Heidelberger Schlachthof verbrannt wurden. Beim Näherrücken der Front wurde die Briefpost eingestellt – Versiegelung der Briefkästen. Eine ins Taubertal evakuierte Zeitzeugin weiß [aus Lauda oder Königshofen] zu berichten, daß noch am letzten Kriegstag ein Offizier gegen den Protest von Zivilisten Jugendliche „eingezogen“ habe. Das bis dahin unzerstörte Königshofen habe durch die Verteidigungsversuche der Wehrmacht Schaden gelitten, Menschen seien dadurch „unnötig“ verletzt worden. Von Verteidigungsmaßnahmen bis zum bitteren Ende berichtet auch eine nach Langenargen ausgewichene Zeitzeugin. Ein Karlsruher „Jungmädel“ erinnert sich daran, noch unter der Aufsicht von Soldaten Schützengräben ausgehoben zu haben, als Maxau schon unter Beschuß lag. Berichtet wird auch davon, daß von den Funktionären der NSDAP nichts mehr zu sehen und zu hören war, oder daß sie sich ihrer Parteiuniformen entledigten.

Abbildung 5

So sah die Kaiserstraße am Marktplatz – von 1933 bis 1945 übrigens „Adolf-Hitler-Platz“ – mit Blick vom Rathausturm im Dezember 1944 aus. Zu erkennen ist das unzerstört gebliebene Wahrzeichen der Stadt Karlsruhe: die Pyramide. Ebenso das Eckhaus Marktplatz/Zähringerstraße, das als einziges Weinbrenner-Gebäude den Bombenkrieg unbeschädigt überstanden hat. Heute befindet sich dort eine Niederlassung der Sparkasse.
(Aufnahme vom Sommer 1945)


Frage 6

Im Zusammenhang mit den offenbar negativen Erfahrungen oder Erwartungen dominiert die Angst. „Ängste um meine Familie, von deren Aufenthalt ich nichts wußte“. „Angst vor Alliierten und farbigen Soldaten – Vergewaltigung von Frauen“. Hoffnungen richten sich auf „endgültigen Frieden, Rückkehr an den Heimatort und Zusammenführung der Familie. Hoffnung auf die Heimkehr von Ehemännern, Brüdern und Verlobten, die zum Teil bereits in Gefangenschaft oder im Krieg vermißt waren. „Hoffnung auf die Heimkehr meines Verlobten zur Heimat. Leider ist die Vermißtenmeldung bis heute nicht geklärt“. Anlaß zur Trauer ist das Kriegsende für eine Frau, die aus diesem Anlaß ihres in Rußland gefallenen Ehemannes gedenkt. Zum Teil mischen sich Hoffnung und Angst. Von einer Enttäuschung über den Ausgang des Krieges wird in einem Fall berichtet; in zwei Aussagen wird Befriedigung über das Ende der Nazi-Diktatur zum Ausdruck gebracht.

Abbildung 6

Aufruf des Staatlichen Gesundheitsamtes vom Februar 1946 an Frauen und Mädchen, die bei der militärischen Besetzung der Stadt und danach Opfer von Vergewaltigungen geworden waren. Das Plakat wurde in einer Auflage von 500 Stück im Stadtgebiet Karlsruhe zum Aushang gebracht.


Frage 7

Die ersten Begegnungen mit den Angehörigen der Besatzungsmacht werden in negativem Licht gezeichnet. Die meisten Zeitzeuginnen nennen in diesem Zusammenhang Plünderungen, Verwüstungen und Vergewaltigungen. Hierbei kommen vor allem die Franzosen schlecht weg, die in Karlsruhe und Umgebung als erste Besatzungsmacht erschienen. „Amerikaner: freundlich, ,liebevoll‘. Franzosen: brutal – Rache“. Eine 1945 20-jährige Frau aus Pforzheim: „Verbrachte die meiste Zeit im Keller, da keine Frau vor den Marokkanern sicher war.“ Eine 1945 33-jährige Frau aus Karlsruhe gibt an: „mit der Nachbarin Vergewaltigung“. Von der Wehrlosigkeit gegenüber den Marokkanern, die in die Häuser eindrangen und Frauen vergewaltigten, berichtet eine damals 21-jährige Karlsruherin. In wenigen Fällen wird der französischen Besatzungsmacht aber auch ein im allgemeinen korrektes Verhalten bescheinigt; „sie schenkten sogar der Bevölkerung ab und zu Lebensmittel“. Ein überwiegend positives Bild wird von den Amerikanern gezeichnet: „Loyal und fair“ oder „Es gab keine Zwischenfälle“. Eine Zeitzeugin, die sich an Ängste erinnert, die durch die Nazi-Propaganda geschürt worden waren, daß nämlich die Feinde „plündern, vergewaltigen usw.“, war durch das korrekte Verhalten der amerikanischen Besatzer umso mehr positiv überrascht.

Frage 8

Die Vorbereitungen hielten sich vor allem dort in Grenzen, wo die Zeitzeugen als Evakuierte oder Ausgebombte nichts (mehr) besaßen, was es zu retten oder zu verstecken gegeben hätte. Eine Aussage läßt darauf schließen, daß in diesem Fall der Einmarsch der Franzosen so überraschend kam, daß keine Zeit mehr blieb, etwas zu verstecken. Eine in den Kraichgau evakuierte Frau: „Es gab keine Vorbereitungen, da ich nur mein Kind und das Nötigste hatte“. Eine Stimme aus Pforzheim: „War nichts mehr in Sicherheit zu bringen, da alles kaputt war.“ Wiederholt findet sich die Aussage, daß ein Hitlerbild nicht vorhanden war: „Nicht jede Familie hatte ein Hitlerbild“. In einem Fall heißt es, daß das Hitlerbild unter Zwang aufgehängt worden war, nun wurde es erst überklebt und dann verbrannt. Verbrannt oder sonstwie vernichtet wurden auch Fahnen und sonstige „Nazigegenstände“.

Frage 9

Kriegsende hieß für viele, daß die Versorgung schlechter wurde. „Der politische Druck war weg, aber Leid und Armut blieben.“ Wer allerdings in einer dörflichen Umgebung lebte und über entsprechende verwandtschaftliche Beziehungen etwa zu einem Winzer oder Müller verfügte, konnte auch besser davonkommen. Die Wohnsituation konnte sich verschlechtern, wenn das Haus von der Besatzungsmacht beschlagnahmt wurde. Mit Hilfsdiensten für die Besatzung – Wäschewaschen – konnte in wenigen Fällen die Versorgungssituation verbessert werden. Für die Frauen begann das Warten auf ein Lebenszeichen oder überhaupt die Rückkehr der Ehemänner, wobei es gleichzeitig galt, mit dem Alltag und seinen besonderen Widrigkeiten – schlechte Versorgung, beschädigter Wohnraum, Sorge für die Angehörigen – allein zurechtzukommen. Eine Zeitzeugin spricht von der Verunsicherung der Menschen; sie erinnert sich an Denunziationen, Enthüllungen, Racheakte und Selbstmorde; das Schlimmste aber sei die Konfrontation mit der „Wahrheit über die Konzentrationslager“ gewesen. Eine andere Zeitzeugin weiß zu berichten, daß ihre Schwester in einer „kirchlichen Veranstaltung“ von der „Judenvernichtung“ in den Konzentrationslagern gehört habe, dies aber habe nicht glauben können. Brüche in der Lebensplanung werden ebenso sichtbar wie die Enttäuschung oder die Trauer darüber, um wichtige und wertvolle Jahre betrogen worden zu sein.

Frage 10

Etwa die Hälfte der Befragten gibt an, gelegentlich oder auch oft von Ereignissen, die mit dem Krieg zusammenhängen, zu träumen, wobei entsprechende Meldungen oder Bilder im Fernsehen diese Träume besonders fördern.

 
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Kriegsende 1945 | Zeitzeugen der Karlsruher Region erzählen | Letzte Änderung: 30. März 1997
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