Cover des gedruckten Buches
   

3. Auswertung und Dokumentation

3.9

Anhang – Kriegsende 1945 in Neureut

 

Die 1945 über Deutschland hereinbrechende Katastrophe kündigte sich im Näherrücken der Fronten und in den zum Inferno gesteigerten englisch-amerikanischen Luftangriffen an. Nicht weniger als 1032 Fliegeralarme, davon weit über 800 in den letzten 12 Kriegsmonaten, wurden in Karlsruhe und damit auch in Neureut registriert.

Das Dröhnen der Flugmotoren, das Heulen der Sirenen, das Abwehrfeuer der um Karlsruhe stehenden Flakgeschütze erfüllten mit dem Näherrücken der Front fast täglich und nächtlich die Luft. Die Übergänge zwischen Fliegeralarm und Entwarnung gestalteten sich fließend und oftmals fielen bereits Bomben, ehe der eigentliche Alarm ausgelöst worden war. Mit Bündeln und Taschen hasteten vor allem Frauen, Kinder und Alte zu den für diesen Zweck freigegebenen ortsnahen Westwallbunkern und viele verbrachten dort auch die Nächte. Neureut selbst wurde durch Fliegerangriffe wiederholt heimgesucht. Über 20 Prozent aller Gebäude waren bei Kriegsende beschädigt oder zerstört, 31 Zivilpersonen kamen ums Leben. Der von Deutschland ausgegangene Krieg kehrte auf schreckliche Weise in unser Land zurück.

Mit der Besetzung der Pfalz wurde Neureut ab März 1945 zu unmittelbarem Frontgebiet und geriet in die Reichweite der gegnerischen Geschütze. Feindliche Tiefflieger waren ständig in der Luft und machten Jagd selbst auf Fuhrwerke auf den Feldern, ja auf einzelne Personen. Die Beschießung des Ortes nahm zu, nachdem auf dem Turm der Nordkirche deutsche Beobachtungsposten aufgezogen waren. Das Leben der verängstigten Bevölkerung verlegte sich mehr und mehr in die Keller und Bunker.

Vor diesem düsteren Hintergrund wurde Neureut am 3. April 1945 von Norden her durch französische Kolonialtruppen besetzt. Mit den letzten abziehenden deutschen Soldaten und Volkssturmmännern verließ auch Neureuts Bürgermeister Wilhelm Stolz den Ort.

Die Zeit des Dritten Reiches ging für Neureut damit zu Ende. Es war ein Ende mit Schrecken! Waren zuvor die Ortsbewohner durch Bomben, Granaten und Tiefflieger allgegenwärtig bedroht, so lauerten plötzlich andere Gefahren, denen man ebenso ohnmächtig und wehrlos ausgesetzt war. Mit Waffengewalt drangen die einmarschierten Soldaten in die Häuser und Wohnungen und nahmen alles, was ihnen in die Hände fiel: Wertgegenstände, Uhren, Fahrräder und dann natürlich die Haustiere, Federvieh und Stallhasen. Zu den Plünderungen kamen in den ersten Wochen zahllose Vergewaltigungen brutalster Art, besonders durch die Marokkaner. Die Hilfeschreie der überfallenen Frauen hallten, vor allem nachts, durch das Dorf.

 

Abbildung 13

Warnung vor feindlichen Tieffliegern.
(Aus: „Der Führer“, 3./4. März 1945)


Freigekommene ausländische Zwangsarbeiter, hauptsächlich Russen und Polen, überfielen wiederholt das Dorf, holten sich Kühe und Schweine und was sie sonst in den Wohnungen noch vorfanden. Wer sich ihnen in den Weg stellte, wurde niedergeschlagen. Es wurden Fälle bekannt, wo auf dem Felde arbeitende Männer und Frauen sich splitternackt ausziehen mußten und ihrer Kleidung beraubt wurden.

Die Bewohner fühlten sich als Freiwild. Großes Entsetzen verbreitete sich im Ort, als die Erschießung eines 14jährigen Schülers bekannt wurde, den die Franzosen wegen eines von ihm getragenen alten Uniformstückes festgenommen hatten. Mit ihm zusammen erschossen wurden zwei südlich von Neureut in Gefangenschaft geratene deutsche Soldaten.

„Wir kommen nicht als Unterdrücker“. Diese in der „Proklamation Nr. 1 an das deutsche Volk“ des Obersten Befehlshabers der alliierten Streitkräfte, General Eisenhower, enthaltene Botschaft wurde überall angeschlagen. Angesichts der Geschehnisse fiel es schwer, daran zu glauben.

Bald nach der Besetzung Neureuts wurde vom französischen Militärkommandanten ein neuer Bürgermeister eingesetzt: Heinrich Klotz. Er umgab sich mit einigen Männern, die als vormalige Regimegegner galten. Heinrich Klotz hatte zunächst dafür zu sorgen, daß die Befehle und Auflagen der Besatzungsmacht bekanntgemacht und umgesetzt wurden.

Die Versorgung der Bevölkerung, die bis zum Zusammenbruch noch einigermaßen funktioniert hatte, lag nun vollkommen darnieder.

Eine Anzahl ehemaliger Parteigenossen (NSDAP) wurde in der Knielinger Kaserne interniert. Große Sorge bereitete den Bewohnern Neureuts das ungewisse Schicksal ihrer als Soldaten an allen Fronten verstreuten Angehörigen. Von den meisten gab es schon lange kein Lebenszeichen mehr. Mitteilungen über 191 gefallene Gemeindemitglieder lagen bis zu diesem Zeitpunkt bei der Gemeinde vor, die letzten stammten vom Januar/Februar 1945. Die blutigen Endkämpfe in West und Ost ließen allerdings noch Schlimmeres befürchten, doch ahnte damals noch niemand, daß am Ende insgesamt 323 Neureuter Soldaten nicht mehr aus Krieg und Gefangenschaft heimkehren würden.

Gerüchte über die Ablösung der Franzosen durch amerikanische Truppen gingen um und nährten die Hoffnung auf eine Besserung der katastrophalen Lebensmittelverhältnisse. Wenige Tage vor ihrem Abzug verfügte die französische Militärregierung am 27. Juni 1945, daß jede deutsche Familie einen vollständigen Anzug mit Hemd und Krawatte, dazu Unterwäsche, Taschentücher, Socken und ein Paar Schuhe – alles in tadellosem Zustand – abzuliefern hätte. Schon zuvor wurden Radios, Fotoapparate und dergleichen eingezogen.

Neureut gehörte dann ab Mitte Juli offiziell zur amerikanischen Besatzungszone.


Abbildung 14

Für Neureut ging der Krieg mit der Besetzung des Ortes am 3. April 1945 zu Ende. In drei Marschsäulen rückten französische Truppen von Norden her gegen Karlsruhe vor. Die französische Lagekarte zeigt den Frontverlauf am 4. April 1945.

 
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Kriegsende 1945 | Zeitzeugen der Karlsruher Region erzählen | Letzte Änderung: 30. März 1997
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