Cover des gedruckten Buches Aufräumarbeiten, April 1945, Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 5 Bd.7, S. 706
   

3. Auswertung und Dokumentation

3.1

Männliche Zeitzeugen, die das Kriegsende in Südwestdeutschland –
Schwerpunkt Karlsruhe und Umgebung – erlebten

3.1.1

Auswertung

 

Fragen 1–4

Grundlage: 18 Zeitzeugen, der jüngste war bei Kriegsende 5 Jahre, der älteste 37 Jahre alt, die Mehrzahl waren Kinder und Jugendliche bis zu 16 Jahren. Die Kinder blieben meist nur mit Mutter und Geschwistern im Heimatort oder hatten sich gelegentlich in der Umgebung auf dem Land in Sicherheit gebracht. Der 37-jährige war als „Mangelberufler“ in Karlsruhe geblieben. Ein aus Karlsruhe stammender Zeitzeuge weist ausdrücklich darauf hin, in welchem Maße der Krieg die Familien auseinandergerissen hatte.

Frage 5

Die letzten Tage vor dem Einmarsch der Franzosen waren nach Schilderung der Zeitzeugen von häufigem Fliegeralarm und Luftangriffen bestimmt. Die Bevölkerung brachte sich in Luftschutzkellern und -stollen in Sicherheit. „Am Tage wurde alles, was sich bewegte, auf den Straßen oder auf dem Feld von feindlichen Jagdbombern beschossen“. In diesen letzten Tagen habe es noch erhebliche Zerstörungen und zahlreiche Verletzte gegeben. In den Nächten seien deutsche Truppen auf dem Rückzug durch die Ortschaften in der Umgebung Karlsruhes gezogen. Reguläre deutsche Truppen habe es beim Einmarsch der Franzosen in den Ortschaften nicht mehr gegeben. Aber bis zuletzt – „Die französischen Truppen waren bereits zu sehen“ – seien noch „alte und kranke“ Männer zum Volkssturm einberufen worden. Die deutschen Behörden bestimmten das Geschehen offenbar nicht mehr, was von mehreren Befragten ausdrücklich angemerkt wird: „Von den deutschen Behörden hat man nichts mehr gehört“. Aus Rheinstetten-Forchheim heißt es: „Es wird erzählt, der Bürgermeister sei auf dem Fahrrad nach Herrenalb geflüchtet“. Einer der Zeitzeugen, der sich mit seiner Mutter nach Kollnau im Schwarzwald in Sicherheit gebracht hatte, berichtet von Konflikten zwischen offiziellen Stellen und der Bevölkerung. Angehörige von Partei oder Wehrmacht hätten noch am Tag vor dem Einmarsch der Franzosen eine Brücke sprengen wollen, was jedoch von Männern aus dem Ort verhindert worden sei. Ein anderer Zeitzeuge erinnert sich an Durchhalteappelle alkoholisierter Nazigrößen, die niemand mehr ernstgenommen habe.

Frage 6

Auf die Frage nach den persönlichen Stimmungen bei Kriegsende geben die meisten Befragten Hoffnung und Erleichterung an, und zwar gerichtet auf ganz Konkretes: „daß die Schießerei ein Ende hat“, „auf eine bessere Zukunft“, „daß der Vater wieder nach Hause kommt“, „Befreiung vom NS-Regime“. Angst „vor dem Neuen“ wird gelegentlich geäußert. Zwei Zeugen geben an, das Kriegsende als Niederlage empfunden zu haben: „Für uns Kinder war es eine Enttäuschung, daß wir den Krieg verloren hatten, denn in der Schule und bei der Hitlerjugend wurden wir anders erzogen“. Ein 13-jähriger berichtet von einem anhaltenden Fanatismus unter Jugendlichen im Angesicht der bevorstehenden Niederlage. Bei einem Zeugen mischt sich die Genugtuung über den Untergang des „Dritten Reiches“ mit dem Bedauern „wegen des ganzen Volkes“. Ein damals 6-jähriger nennt als einzige Empfindung „Neugier“, ein 9-jähriger begreift das Ende als „großes Abenteuer“.

Frage 7

Die ersten Begegnungen mit Besatzungssoldaten, in der Mehrzahl waren es Franzosen, werden sehr unterschiedlich geschildert. Einige urteilen ausdrücklich: „gut und ohne Angst“, „korrekt“, „sehr anständig“ und berichten von geschenkten Süßigkeiten für die Kinder. Andere erwähnen Plünderungen, die mit der schlechten Versorgung der französischen Soldaten erklärt werden. „Die Franzosen wüteten unheimlich“. Zwei Befragte sprechen von Vergewaltigungen durch Marokkaner während der ersten 2–3 Tage. Auch Erschießungen von Personen, die sich während des Einmarsches auf der Straße aufhielten, habe es gegeben. Ein besonderes Erlebnis berichtet ein damals 16-jähriger aus Ottersheim: Er sei mit 20 anderen auf einem Platz zusammengetrieben worden unter der Drohung, jeder 2. werde erschossen, wenn sich ein gesuchter Heckenschütze nicht stelle. Dieser habe sich nach Stunden selbst getötet.

Besonders die 1945 noch sehr jungen Befragten begegneten den Besatzungssoldaten auch mit Neugier. Sie sahen mit Interesse zum ersten Mal in ihrem Leben Farbige und schildern, wie die Marokkaner morgens ihre Turbane wickelten.

 

Abbildung 1

Blick vom Karlsruher Rathausturm in Richtung Schloß nach den schweren Luftangriffen vom September und Dezember 1944, die auch die Schloßgebäude bis auf die Außenmauern zerstörten.
(Aufnahme vom Sommer 1945)


Frage 8

Die Vorbereitung auf die Ankunft der Besatzungssoldaten richtete sich nach der familiären Situation. Wer seine Wohnung im Bombenkrieg verloren hatte oder immer wieder in den Luftschutzkeller mußte, hatte keine Gelegenheit, viel zu verstecken. In den Ortschaften auf dem Land konnte man sich offenbar besser vorbereiten. Wertvolles, z. B. Familienschmuck oder auch Papiere wurde vergraben oder versteckt. Belastendes wurde vernichtet, gelegentlich auch nur versteckt. Die Mehrzahl der Befragten gibt an, kein Hitlerbild besessen zu haben; in den Fällen, wo eines vorhanden war, wurde es beseitigt. Aber auch anderes wurde als belastend angesehen und vernichtet: Uniformen, auch die der Hitlerjugend und Fahnen, die verbrannt oder zum Nähen von Kleidung verwendet wurden.

Frage 9

Für fast alle Befragten wurde die materielle Situation mit Kriegsende zunächst noch schwieriger. Sie berichten von Hunger und eingeschränkten Wohnverhältnissen. Entweder mußte man die Schäden an der eigenen Wohnung notdürftig ausbessern, oder man wurde, auch als Kind, zu öffentlichen Arbeiten eingesetzt, wie z. B. Zuschütten von Schützengräben der Wehrmacht oder Freilegen von Ruinen. Die Schulen wurden geschlossen und erst im Herbst 1945 wieder geöffnet. Die Schulen, die während des „Dritten Reiches“ nach Nazigrößen benannt worden waren, wurden umbenannt. Ein damals 16-jähriger berichtet, er habe gar nicht mehr die Gelegenheit gehabt, die Schule weiter zu besuchen, wodurch seine Berufspläne völlig verändert wurden. Die Arbeitsmöglichkeiten werden als sehr schlecht geschildert, da die Betriebe zerstört waren, auf Friedensproduktion umstellen mußten oder gar die Einrichtungen requiriert waren. Nur 2 der Befragten sprechen von guten Arbeitsbedingungen, einer von ihnen gibt an, bei den Amerikanern gearbeitet zu haben. Zufrieden äußert sich der Sohn eines Rechtsanwaltes: Der Vater erhielt aufgrund der Tatsache, als „Antinazi“ bekannt gewesen zu sein, von der französischen Besatzungsmacht als erster und einziger im Umkreis die Wiederzulassung zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs. Nicht betroffen von den verschlechterten Arbeitsbedingungen war der Sohn einer Bauernfamilie.

Frage 10

Auf die Frage, ob sie das Kriegsende noch in den Träumen beschäftige, antworten vor allem die damals ganz Jungen mit „nein“. Ein 1945 13-jähriger erinnert eher mit einem gewissen Stolz daran, daß es die damalige Jugend gewesen sei, die später das Wirtschaftswunder vollbracht habe. Die anderen berichten teilweise von Träumen. „Zeitweise ja, doch relativ selten; wenn, dann aber sehr schlimm“. Meistens ist von Erinnerungen die Rede, die vor allem dann einsetzen, wenn im Fernsehen über heutige Kriege berichtet wird: „Diese Zeit kann man, solange man lebt, nicht vergessen“.

 
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Kriegsende 1945 | Zeitzeugen der Karlsruher Region erzählen | Letzte Änderung: 30. März 1997
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