Cover des gedruckten Buches Zerstörtes Mörsch 1945, Heimatverein Rheinstetten
   

3. Auswertung und Dokumentation

3.9

Anhang – Mörscher Chronik 1945. Nach dem Kriegstagebuch der deutschen 19. Armee

 

4.4.: Französische Truppen besetzen fast kampflos Karlsruhe, Ettlingen und Forchheim. Vor Mörsch stoßen sie auf Widerstand, verlieren zwei Panzer und ziehen sich nach Forchheim zurück.

5.4.: Erneuter französischer Angriff auf Mörsch „in Bataillonstärke“, unterstützt von fünf Panzern. Das 1. Bataillon Zollgrenzschutz wehrt den Angriff ab und bereinigt einen Einbruch im Gegenstoß. Nach einem neuen französischen Angriff, unterstützt von acht Panzern, wird Mörsch aufgegeben.

6.4.: Die französische 9. Kolonialdivision versucht weiter gegen Durmersheim vorzugehen, scheitert aber am Panzergraben südlich Mörsch. Mörsch ist jetzt französisches Aufmarschgebiet. Besonders die Rheinstraße wird von deutscher Artillerie beschossen. Die Franzosen evakuieren die Bevölkerung, die zunächst in das Forchheimer Gut gebracht wird. Neuburgweier wird am selben Tag angegriffen und besetzt.

7.4.: Deutsche Artillerie beschießt Südrand von Mörsch und Neuburgweier. Das Zollgrenzschutzbataillon erobert zwei Bunker zurück. Französischer Angriff im Hardtwald scheitert unter schweren Verlusten.

8.4.: Die II. Landwehrbrigade greift Neuburgweier an und erobert den Südwestteil des Ortes zurück. Abwehr eines französischen Gegenangriffes. Ein neuer Angriff der Franzosen in den Abendstunden bringt Neuburgweier endgültig in französischen Besitz. Artillerie beschießt Mörsch.

9.4.: Deutsche Artillerie beschießt „feindliche Bereitstellungen an der Straße Ettlingen-Mörsch“.

10.4.: Letzter Eintrag im Kriegstagebuch der 19. Armee für den Mörscher Raum: „Feindangriff in Kompaniestärke nach Süden wurde abgewiesen“. Letzte Meldung des LXIV. A.K. an die 19. Armee: „Bei Neuburgweier wurde feindl. Bereitstellung durch G(ranat)w(erferfeuer) bekämpft.“

Darstellung des Kommandeurs der 1. franz. Armee, de Lattre de Tassigny: „Am 5.4. wollte das 21. Infanterie-Regiment Coloniale auf kürzestem Wege gegen Rastatt vorstoßen, indem es den besonders ausgebauten Westwall bei Mörsch angriff. Dort stieß man auf den Ring der Bunker, verstärkt durch ein dichtes Netz von Stacheldraht und zahlreiche Artillerie. Die deutschen Truppen verhinderten nicht nur jeden Weitermarsch, sondern sie unternahmen, gut unterstützt durch diese Befestigungen, eine Reihe von Großangriffen aus Richtungen, die sorgfältig getarnt waren. Am 6., 7., 8. April wurden unsere Spitzen bei Ettlingen und Neuburgweier wiederholt mit besonderer Heftigkeit angegriffen. Die Kolonialtruppen, denen das 1. Luftcorps dreimal eine äußerst wirksame Unterstützung gab, wichen keinen Fingerbreit Boden, aber das Ergebnis verblieb, der Vormarsch war gesperrt.“ Und an anderer Stelle: „Im Süden von Karlsruhe zeigte die Verteidigungsfront der 106. I.D. den größten Widerstand. Es handelt sich hier nicht um eine improvisierte Organisation, sondern um einen Sperr-Riegel der Rheinebene in der Höhe von Mörsch (,Mörscher Riegel‘). Dieser Teil des Westwalls war mit einem Panzergraben besonders ausgebaut und er war von der 19. Armee besonders besetzt. Der Stützpunkt Mörsch bildet den kleinen Teil des Winkels, der dem Hauptarm der 1. deutschen Armee anvertraut ist.“

Eine Notiz im Kriegstagebuch der 19. Armee berichtet von einem Ferngespräch des Armeeoberkommandos 19 mit dem Oberbefehlshaber Süd, Feldmarschall Kesselring. Ein gefangener französischer Offizier habe ausgesagt, daß man (die Franzosen) in der Rheinebene nicht vorwärstkomme und deshalb das Schwergewicht der Kräfte nach Osten verlagere, also in den Schwarzwald. Die 19. Armee schlug deshalb im Einverständnis mit Kesselring vor, die II. Landwehr aus dem Mörscher Riegel abzuziehen und nach Osten umzugruppieren. Dies geschah dann auch, nur die zwei Zollgrenzschutzbataillone verblieben im Riegel.

Das Ende des Widerstands ergab sich durch die Umgehung östlich der Schwarzwald-Randstellung. Die Reste der 106. I.D. mußten nach Süden ausweichen, wenn sie nicht eingeschlossen werden wollten. Eingekesselt wurde diese Division schließlich im Raum Donaueschingen; die Division löste sich dann dort auf.

Deutlich wird diese Umgehung auch aus der „Zwischenmeldung“ vom 10.4. des LXIV. A.K. an die 19. Armee, wo bereits in Conweiler, Langenalb und Völkersbach Rückzugskämpfe gemeldet wurden.Es ist aber auch mit Stolz darauf zu verweisen, daß es durch die vorbildliche Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter gelungen war, die Sparkasse als eines der wenigen öffentlichen Gebäude in der Stadtmitte zu erhalten.“

 

Abbildung 12

Der Ettlinger Riegel – rechts unten die Unterschrift des kommandierenden Generals der 19. Armee, General Brandenberger. (Aus: Militärgeschichtliches Forschungsamt Freiburg, „Schlußkampf der 19. Armee“. A 935, B – 745)


Soweit die Zeitdokumente, die jedoch unterschiedlich zu werten sind. Das Kriegstagebuch ist nüchterner, wenn auch bestrebt, den Widerstand deutlich hervorzuheben, man mußte sich ja auch nach „oben“ rechtfertigen. Die Darstellung de Lattre de Tassignys in seinem Buch über die 1. französische Armee ist subjektiver und politischer und auch mit einem zeitlichen Abstand wiedergegeben. Auch sie versucht die Leistung der französischen Truppe ins „rechte Licht“ zu setzen. Dahinter verbirgt sich aber auch der Wille, die Leistung Frankreichs an der Niederwerfung Deutschlands zu dokumentieren und daraus Ansprüche auf die Nachkriegszeit abzuleiten.

Offensichtlich falsch ist die übertriebene Darstellung der deutschen Stärke. Weder die 106. I.D. noch die 19. Armee waren kampfstark, auch die Bunkeranlagen waren nicht so wirksam, wie dargestellt, wenn sie auch, solange die schweren Waffen der Franzosen noch nicht über den Rhein gebracht worden waren, für die Verteidiger eine Stütze darstellten. Das sogenannte LXIV. A.K. (Nordflügel der 19. Armee) bestand nur aus der 405. I.D. und der 106. I.D., beide nur improvisiert. Mörsch war zudem Armeegrenze zur 1. deutschen Armee. Infolge des Falls von Karlsruhe am 4.4. wurde dann die besser ausgerüstete 257. VDG (Volksgrenadierdivision) der 1. Armee entzogen und der 19. unterstellt; sie konnte aber nicht eingreifen, auch sie war überlastet und sollte die Schwarzwaldrandstellung, das Albtal und die Autobahn nach Stuttgart sichern. Gerade dorthin richtete sich nach de Gaulles Willen der französische Hauptstoß, wollte man doch unbedingt den Amerikanern zuvorkommen.

Doch dies erfüllte sich nicht; die Amerikaner erzwangen später von den Franzosen den Rückzug aus Stuttgart und Karlsruhe (und aus Mörsch) und so kam es, daß Mörsch 1945 gleich zweimal befreit wurde: im April vom NS-Regime und später von den Befreiern. Diesmal war es nicht die Armeebereichsgrenze, sondern die Demarkationslinie zwischen amerikanischer und französischer Besatzungszone, die zwischen Mörsch und Durmersheim gezogen wurde.

Der Widerstand und die Zerstörung Mörschs mit allen Opfern erwies sich im Nachhinein als sinnlos. Die jungen Soldaten und Zollgrenzschützer gehorchten dem Befehl, schwankten zwischen tiefer Entmutigung und der irrationalen Hoffnung auf eine Wende oder dem Glauben, noch zu retten was zu retten ist, und sei es nur, um der politischen Führung „Zeitgewinn für den Abschluß des Krieges“ zu verschaffen, wie dies General Brandenberger, der Kommandeur der 19. Armee, darstellt. Doch diese politische Führung, also Hitler, war nicht bereit zu kapitulieren, ja, im Gegenteil, sie befahl im „Nero-Befehl“ sogar die Zerstörung der Anlagen, die nach dem Kriege das Weiterexistieren des Volkes sichern konnte.

 
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Kriegsende 1945 | Zeitzeugen der Karlsruher Region erzählen | Letzte Änderung: 30. März 1997
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